Beim Übersetzungsmanagement geht es oft um Unternehmen, die regelmäßig Dokumente in verschiedene Sprachen übersetzen lassen. Diese arbeiten (oder lassen arbeiten) in der Regel mit Translation Memorys. Diese Memorys speichern paarweise Segmente in der Ausgangs- und Zielsprache und schlagen Übersetzungen vor, wenn der Satz bereits einmal übersetzt wurde. In diesem Fall überprüft der Übersetzer, ob der Vorschlag annehmbar ist und setzt ihn ein bzw. passt ihn an. Das Handling dieser als 100-%ige Matches bekannten Segmente bedeutet Arbeit. Deren Anpassung oder Korrektur ebenso. Deswegen entfallen in der Regel auf diese Matches Kosten. Um sich diese Kosten zu sparen, entscheiden manche Auftraggeber, 100-%ige Matches oder Wiederholungen zu sperren, sodass sie überhaupt nicht editierbar sind. In manchen Fällen sind sie sogar für Übersetzer nicht sichtbar.
Auch wenn manchmal das Sperren von Segmenten durchaus vertretbar ist, möchten wir hier zehn Gründe nennen, warum Matches bzw. Wiederholungen nicht gesperrt werden sollen. Nur dann, wenn diese Gründe nicht zutreffen, lassen sich über das Sperren von Segmenten Kosten risikofrei einsparen.
Grund 1: Kontext von Übersetzungen
Dokumentiert werden meistens komplexe Sachverhalte, die Bedienung von Maschinen oder Anlagen oder die Beschreibung von Vorgängen. Translation-Memorys speichern in der Regel isolierte Sätze bzw. Segmente. Zwar kann ein Teil dieser Segmente für sich allein stehen und verständlich sein, aber ein anderer Teil davon ist erst dann eindeutig, wenn der Zusammenhang bekannt ist. Das gilt für eine Vielzahl von Situationen, etwa bei Bezugswörtern („diese“, „links“, „es“), bei der Erkennung von Singular/Plural (wie ist ein Wort wie „Fehler“ zu deuten?), bei situations- oder produktabhängigen Informationen (bestimmte Handlungen wie „anschließen“, typische Angaben wie „Ausgabe“, „Leistung“ usw.). Eine Fehlübersetzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Grund 2: Verbreitung von Übersetzungsfehlern
Auch wenn Übersetzungen regelmäßig qualitätsgesichert werden, können Translation-Memorys Fehler enthalten. Das kann menschliche aber auch prozessbedingte Ursachen wie bei verwaisten Teilsegmenten haben. Wenn der Übersetzer ein 100-%iges Match liest, bevor er es übernimmt, kann er rechtzeitig potenzielle Fehler erkennen.
Grund 3: Veraltete Terminologie im Translation Memory
Terminologie ist nie in Stein gemeißelt. Neue Termini werden fortlaufend erfasst und in mehreren Sprachen festgelegt, bereits vorhandene Termini werden geändert oder erhalten neue Verwendungsattribute, während andere obsolet werden. Eine Übersetzung aus dem Translation-Memory kann u. U. mehrere Jahre alt sein.
Grund 4: Stilistische Anpassungen erforderlich
Es reicht nicht, dass ein Match für sich alleinstehend korrekt ist. Es muss auch stilistisch in seine Umgebung passen. So kann es vorkommen, dass der vorhergehende oder darauffolgende Satz Wörter enthält (z. B. das gleiche Verb), die eine stilistische Anpassung der übernommenen Übersetzung erfordert.
Grund 5: Präzision statt Oberbegriff
Manche Sprachen müssen bestimmte Zusammenhänge präziser als in der Ausgangssprache formulieren. Das gilt für eine Vielzahl von Situationen und Sprachkombinationen. Ein Oberbegriff wie „Behälter“, „Gerät“ usw. muss in vielen Sprachen je nach Zusammenhang genauer übersetzt werden.
Grund 5: Technologiewandel
Die Produkte oder Technologien, von denen eine Dokumentation handelt, ändern sich fortlaufend. Neue Funktionen, neue Verfahren erfordern eine Umformulierung von Übersetzungen, die sich auf einen früheren Entwicklungsstand beziehen. So muss ein Unternehmen, das in bestimmten Anlagen Signallampen auf Leuchtdioden umgestellt hat, die Übersetzung „signal lamp“ in „signal LED“ ändern. Vorhandene Übersetzungen können nicht mehr blind übernommen werden.
Grund 6: Neue Normen
Redakteure müssen ihre Texte regelmäßig anpassen, weil Normen aktualisiert wurden. Oft führen diese Aktualisierungen zu einer Anpassung der Terminologie. Jeder hat z. B. den Terminologiewechsel von „Gefahrenanalyse“ zu „Risikobeurteilung“ in Erinnerung, als die alte Maschinenrichtlinie 98/37/EG von 1998 inzwischen durch die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 ersetzt wurde. Das gilt selbstverständlich für die betroffenen Fremdsprachen.
Grund 7: Stilistische Vorgaben
In vielen Redaktionsleitfäden stehen wichtige stilistische Vorgaben, damit Dokumente, die von unterschiedlichen Autoren und aus unterschiedlichen Quellen generiert werden, trotzdem einheitlich formuliert sind. Diese Vorgaben betreffen verschiedene Aspekte des Wortschatzes, der Syntax oder der Typografie. Die einheitliche Formulierung von Anweisungen ist dabei ein wichtiger Punkt, und viele Firmen legen sie in den Fremdsprachen auch fest. Es kommt immer wieder vor, dass Translation-Memorys nicht konforme Formulierungen enthalten, die angepasst werden müssen.
Grund 8: Typografie
Jeder Text sollte einheitlichen typografischen Regeln folgen. Das betrifft Punkte wie z. B. das Setzen von Großbuchstaben am Anfang oder von einem Punkt am Ende jeden Satzes in einer Auflistung oder das Setzen von Akzenten auf Großbuchstaben im Französischen. Bei den automatisch übernommenen Sätzen aus einem Translation-Memory ist dies nicht immer gewährleistet.
Grund 9: Differenzierte Übersetzungen
Manche Übersetzungen müssen unterschiedlich ausfallen. Das ist zum Beispiel der Fall bei Softwaretexten, die nicht zwangsläufig immer gleich übersetzt werden sollten. So wird z. B. die Übersetzung eines Dialogtitels vollständig ausgeschrieben, während derselbe Text aufgrund von Längenbeschränkungen bei einer Feldbeschreibung abgekürzt oder umformuliert wird.
Grund 10: Auswahl zwischen mehreren Übersetzungen
Manche Translation-Memorys arbeiten mit mehreren 100-%igen Matches. Man kann die erstbeste Variante nicht einfach so übernehmen, sondern man muss prüfen, welche Version im vorhandenen Kontext die richtige ist.
Sicherlich gibt es Projekte, bei denen es durchaus Sinn macht, 100-%ige Matches zu sperren, etwa wenn ein bereits übersetztes Dokument nur geringfügig geändert wurde. Dann gibt es Verfahren, die das Vorkommen der hier beschriebenen Fehler zumindest zum Teil verhindern (über einen Abgleich mit bilingualen Referenztexten). In der Regel empfiehlt es sich jedoch, diese Segmente nicht zu sperren und es dem Übersetzer bzw. Lektor zu überlassen, bei Bedarf notwendige Anpassungen vorzunehmen.