Wie wichtig ist eine konsistente und durchdachte Terminologieauswahl? In der globalisierten Geschäftswelt ist eine präzise und konsistente Terminologie der Schlüssel zu effektiver Kommunikation. Ob es sich um technische Dokumentationen, juristische Texte, Marketingmaterialien oder Softwareoberflächen handelt – die richtigen Worte zu wählen und diese Wahl über verschiedene Abteilungen und Projekte hinweg konsistent zu halten, stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen.
Die Extraktion potentieller Termini erfolgt oft in zwei Schritten. Zunächst kommen halbautomatische oder automatische Verfahren zum Einsatz, über die wir bereits berichtet haben. Diese Extraktionsverfahren liefern häufig umfangreiche Listen potenzieller Termini. Doch welche davon sollten tatsächlich in die Unternehmensterminologie aufgenommen werden? Wie stellt man sicher, dass verschiedene Mitarbeiter – seien es Projektmanager in Übersetzungsbüros, technische Redakteure oder Marketingexperten – zu den gleichen Entscheidungen kommen?
Dieser Artikel bietet Ihnen einen Leitfaden zur Auswahl relevanter Termini und zeigt anhand konkreter Beispiele, wie Sie in Ihrem Unternehmen eine konsistente Terminologiearbeit etablieren können.
Grundlegende Auswahlkriterien
Warum nimmt man einen Termkandidaten in die Firmenterminologie auf und einen anderen nicht? Für diese Entscheidung gibt es zum einen relativ allgemeingültige Kriterien und zum anderen solche, die spezifisch sind und stark vom Terminologievorhaben und der Zielgruppe abhängen. Eine medizinische Terminologie für Patienten und für Fachärzte unterscheidet sich sowohl in ihrem Umfang als auch in ihrer Beschaffenheit und den erfassten Informationen. Wir beginnen hier mit den allgemeinen Kriterien der Terminologieauswahl. Diese Kriterien können einzeln oder in Kombination die Auswahl eines Termkandidaten bestimmen.
Häufigkeit und Relevanz für das Fachgebiet
Kriterium: Ist der Begriff spezifisch für die Branche oder das Unternehmen? Wird er häufig in Dokumenten verwendet?
Die Aufnahme eines Terminus in eine Terminologiedatenbank ist mit Kosten und Arbeit verbunden. Definitionen müssen erstellt werden. Fremdsprachenvarianten sowie zusätzliche Informationen wie Metadaten und Beispiele gehören ebenfalls dazu und müssen regelmäßig gepflegt werden. Daher spielen bei der Auswahl weniger “schwieriger” Fachwörter noch zusätzliche Aspekte wie der damit verbundene Arbeitsaufwand bei der Erfassung und der Pflege des Eintrags eine Rolle. Man will ja unnötige Arbeit vermeiden.
Es hängt von der gewählten Betrachtungsweise ab, ob die Häufigkeit von Termini in Dokumenten eines Unternehmens eine wichtige Rolle spielt. Nicht immer sind die häufigsten Begriffe die wichtigsten. Manchmal können relativ seltene Begriffe eine wichtige Rolle spielen, etwa die Bezeichnung eines besonderen Produktionsverfahrens, der nur an wenigen Stellen erwähnt wird, aber trotzdem eine wichtige Rolle in der Tätigkeit des Unternehmens spielt.
Beispiele:
– In einer technischen Bedienungsanleitung für eine Industriemaschine wäre “Drehmoment” ein relevanter Begriff, der aufgenommen werden sollte.
– In Marketingtexten für ein Kosmetikunternehmen könnte “Hydratisierung” ein wichtiger Fachbegriff sein, auch wenn er selten vorkommt.
Mehrdeutigkeit und Präzision
Kriterium: Besteht die Gefahr von Missverständnissen oder Fehlübersetzungen? Gibt es Homonyme für den Begriff? Gibt es mehrere Synonyme und Schreibweisen, deren Verwendung man regeln möchte? Benötigt der Begriff eine genaue Definition?
Dieses Kriterium erfordert gutes sprachliches und technisches Wissen. Synonyme, deren Verwendung man mit Hilfe der Terminologie steuern möchte, sind nicht immer offensichtlich. Sie liegen nicht unbedingt alphabetisch untereinander (wie „Abstandring“ und „Distanzring“) und sind ohne klare Definition nicht immer nachvollziehbar.
Beispiele:
– In juristischen Texten könnte der Begriff “Gutgläubigkeit” mehrdeutig sein. Er hat im Zivilrecht eine andere Bedeutung als im Strafrecht. Eine präzise Definition ist hier unerlässlich.
– In technischen Dokumenten gibt es Synonyme und Schreibweisen, die man vereinheitlichen möchte: “Abdeckblech”, “Abdeck-Platte”, “Abdeckplatte” oder “Verkleidung”.
– In der Softwareentwicklung könnte “Methode” je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben (z.B. Teil einer Klasse oder Vorgehensmodell für die Entwicklung).
Übersetzung und Begriffsverständnis
Kriterium: Gibt es mehrere mögliche Übersetzungen in der Zielsprache? Ist die Übersetzung stark kontextabhängig?
Die Mehrheit der Firmenterminologien ist mehrsprachig, von wenigen Stammsprachen bis hin zu Terminologien in 20 oder 30 Sprachen. Ob im Alltag, in der Technik, in der Rechtssprache oder in vielen anderen Bereichen – die verschiedenen Länder und Sprachen strukturieren die Realität nicht immer gleich. Französische, deutsche oder britische Metzger zerlegen das Fleisch auf unterschiedliche Weise. Das Bildungswesen in Deutschland und in Amerika ist grundsätzlich anders strukturiert. Auch bei technischen Begriffen wie “Motor” vs. “motor / engine” (abhängig von der Energiequelle) gibt es regelmäßig eine unterschiedliche Feingliederung der Begriffe, was zu kontextabhängigen Übersetzungen führt. Diese Fälle zu erkennen, auch bei Sprachen, die man als Terminologe nicht unbedingt selbst beherrscht, ist eine große Herausforderung.
Beispiele:
– Der englische Begriff “interface” wird im technischen Kontext oft als “Schnittstelle”, “Benutzeroberfläche” oder “Verbindung” übersetzt, abhängig vom spezifischen Anwendungsfall.
– Der Begriff “reach” kann in Marketingtexten je nach Produkt und Zielgruppe als “Reichweite”, “Erreichbarkeit” oder “Zielgruppenabdeckung” übersetzt werden.
– Softwarebefehle wie “delete” und “erase” oder “löschen” und “leeren” werden manchmal synonym verwendet. Sie haben jedoch unterschiedliche Auswirkungen.
Sicherheitsrelevante Termini
Kriterium: Einige Ausdrücke können, wenn sie falsch verstanden werden, negative Auswirkungen auf die Sicherheit bei der Verwendung von Geräten oder Software haben.
Diese Ausdrücke sind nicht immer leicht zu identifizieren, denn es ist manchmal notwendig, das Produkt gut zu kennen.
Beispiele:
– In technischen Dokumentationen muss man genau zwischen “NOT-AUS” (Schalter) und “NOT-HALT” unterscheiden. Es sind unterschiedliche Zustände der Maschine.
Normierung und rechtliche Aspekte
Kriterium: Handelt es sich um genormte, standardisierte oder rechtlich relevante Begriffe?
In vielen Fällen ist die Verwendung von Fachausdrücken vorgegeben. Neben dem Gesetzgeber sind auch Organisationen, Normungsinstitute wie der DIN oder die ISO oder Verbände an der Festlegung von Begriffen und Benennungen beteiligt. Die Verwendung der falschen Benennung kann manchmal (z. B. bei Zollpapieren, bei der Bilanzierung oder bei Rechtsstreitigkeiten) schwerwiegende Konsequenzen haben.
Beispiele:
– In technischen Dokumentationen müssen Sicherheitshinweise wie “WARNUNG” oder “VORSICHT” gemäß bestimmter Normen (z.B. ANSI Z535) verwendet werden.
Eigennamen, Produktnamen und Funktionsbezeichnungen
Kriterium: Wie heißt die Leiterin oder der Leiter der Entwicklungsabteilung? Wie schreibt man den Firmennamen auf Chinesisch?
Es mag für manche verwirrend sein, Produktnamen oder Eigennamen in eine Terminologie aufzunehmen, aber man denke nur an die Konsequenzen einer uneinheitlichen oder falschen Verwendung dieser Namen im In- oder Ausland. Natürlich lassen sich solche Informationen in Leitfäden wie einem Corporate Style Guide erfassen, aber die Terminologie ist der zentrale Ort, an dem sich viel Firmenwissen befindet, das über Stichwörter abgefragt und teils automatisch geprüft werden kann. Terminologieprüftools können über die Terminologie sofort erkennen, ob in Dokumenten ein Produktname falsch verwendet wurde.
Beispiele:
– In China wird Mercedes-Benz “梅赛德斯-奔驰” geschrieben.
– Für die oder den Verantwortlichen für Marketing stehen viele Bezeichnungen zur Verfügung, die in einem Unternehmen einheitlich verwendet werden sollen: “Marketingleiterin”, “Leiter Marketing”, “Head of Marketing”, “Chief Marketing Officer” (CMO), “Marketing-Manager”, “Marketingmanager”, “Marketing Manager”, usw.
Abkürzungen und Akronyme
Kriterium: In Unternehmenstexten werden gerne Akronyme und Abkürzungen verwendet. Es ist für den Leser oder die Leserin nicht immer klar, worauf sie sich beziehen.
Abkürzungen entstehen nicht auf einmal und gleichzeitig. Sie werden je nach Bedarf von verschiedenen Mitarbeitern aus unterschiedlichen Abteilungen geprägt. Es ist zwar gute Praxis, bei der ersten Verwendung einer Abkürzung sie zu erläutern, aber einige Seiten danach ist oft vergessen, was SSD bedeutet. Auch scheinbar alltägliche Abkürzungen wie “Abb.” (Abbildung) können in der technischen Dokumentation wichtig sein, denn es stehen auch Alternativen in Deutsch wie “Ill.” (Illustration) sowie in weiteren Sprachen zur Verfügung, die man vermeiden möchte.
Beispiel:
– In medizinischen Texten sollten Abkürzungen wie “MRT” für Magnetresonanztomographie oder “CT” für Computertomographie erfasst und erläutert werden.
Kriterien hängen vom Anwendungsfall ab
Übersetzer
Kriterium: Begriffe mit mehreren kontextabhängigen Übersetzungen oder solche, die eine präzise Definition für eine korrekte Übersetzung erfordern.
Nicht alle Sprachen verstehen und strukturieren die Welt gleich. Während westliche Kulturen in der Küche eine Vielzahl von Messervarianten kennen wie “Brotmesser”, “Schälmesser”, “Gemüsemesser”, “Tranchiermesser”, “Filetiermesser”, “Käsemesser”, “Fischmesser”, begnügen sich die Chinesen im Alltag mit einigen wenigen Allzweckmessern. Das Gleiche gilt in vielen Situationen für Fachbegriffe, in der Verwaltung (wie übersetzt man “Hochschule” in amerikanisches Englisch?) oder in der Technik. Aber auch Begriffe, die gleich definiert und strukturiert sind wie der Begriff “Frühstück”, können trotz gleicher Definition unterschiedliche Inhalte haben. Die Unterschiede im Verständnis der Begriffe können nicht nur sprachabhängig sein, sondern auch länderabhängig.
Beispiel:
– In einer technischen Bedienungsanleitung könnte der Begriff “Abdeckung” je nach Kontext als “cover”, “panel” oder “shield” übersetzt werden. Eine klare Definition und Kontextinformation sind hier wichtig.
Technische Redakteure
Kriterium: Fachbegriffe mit spezifischer Bedeutung im Unternehmen oder Termini, die zur Konsistenz in der Dokumentation beitragen.
Beispiel:
– Ein Maschinenbauunternehmen könnte den Begriff “Hebevorrichtung” unternehmensweit einheitlich verwenden, auch wenn in einigen Produkten “Hubgerät” oder “Hebemaschine” passender erscheinen könnten.
Marketingfachleute
Kriterium: Markenspezifische Begriffe oder Termini, die das Unternehmensimage prägen oder Begriffe, die im Rahmen der Search Engine Optimization (SEO) wirksam sind.
Beispiel:
– Neben dem Begriff „Cloud Computing“ würde ein Anbieter von Online-Diensten verwandte alternative Begriffe wie „Cloud“, „Cloud-Storage“, „Computing-Cloud“ oder „Online-Storage“ für bessere Suchergebnisse (SEO) aufnehmen, auch wenn diese keine direkten Synonyme sind.
Kann KI bei der Terminologieauswahl helfen?
Die wachsende Bedeutung von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT, Claude, LLama oder Gemini wirft die Frage auf, ob künstliche Intelligenz (KI) bei der Terminologieauswahl helfen kann. KI bietet vielversprechende Möglichkeiten, den Prozess der Terminologieauswahl zu unterstützen und zu optimieren.
Klassifizierung von Termkandidaten
KI-Systeme können Termkandidaten nach definierten Kategorien und Regeln klassifizieren und eine Vorauswahl treffen. Dies ermöglicht eine effizientere erste Sichtung des Materials und reduziert den manuellen Aufwand erheblich.
Beispiel für ein KI-Prompt: “Klassifiziere die folgende Liste von Termkandidaten aus dem Bereich {Fachgebiet} nach den Kriterien: Häufigkeit, Relevanz für das Fachgebiet, Mehrdeutigkeit, Abkürzung, Markenbezeichnung, Übersetzungskomplexität und Sicherheitsrelevanz. Bewerte jedes Kriterium von 0 (nicht relevant) bis 5 (sehr relevant) und begründe kurz deine Entscheidung. Liefere das Ergebnis als Tabelle.”
Feedbackschleife und Verbesserung
Eine Feedbackschleife ist unerlässlich, um die Genauigkeit der KI-Klassifizierung zu verbessern. Terminologen überprüfen die Vorschläge der KI und geben Rückmeldung zu Fehlklassifizierungen. Diese Informationen fließen in das System zurück, wodurch es kontinuierlich lernt und seine Leistung verbessert.
Grenzen und menschliche Expertise
Trotz des Potenzials von KI in der Terminologiearbeit ist die Technologie nicht 100%ig zuverlässig. Der “Human in the loop” bleibt unverzichtbar. Menschliche Expertise ist weiterhin erforderlich, um:
- Kontextuelle Nuancen zu verstehen, die KI möglicherweise übersieht
- Fachspezifisches Wissen einzubringen, das in den Trainingsdaten unzureichend repräsentiert ist
- Finale Entscheidungen zu treffen, besonders bei Grenzfällen oder widersprüchlichen Klassifizierungen
Implementierung eines einheitlichen Terminologieauswahlprozesses
In Organisationen, in denen mehrere Personen an der Auswahl und am Aufbau einer Terminologie beteiligt sind, können weitere Schritte helfen, eine einheitliche Arbeitsweise zu implementieren.
Erstellung eines detaillierten Terminologieleitfadens
Ein Terminologieleitfaden definiert die Auswahlkriterien und illustriert sie mit Beispielen, etwa so:
Kriterium: Fachbegriffe, die komplexe Produkte oder Verfahren beschreiben und in mindestens 3 verschiedenen Unternehmensdokumenten vorkommen.
Positives Beispiel: „Vakuum-Aufspanngerät“ (komplexes erklärungsbedürftiges Produkt des Unternehmens)
Negatives Beispiel: „Schraubenzieher“ (allgemein verständlicher Begriff)
Schulung der Mitarbeiter
Anhand konkreter Dokumente aus dem Unternehmen lernen die mit Terminologieaufgaben betrauten Mitarbeiter in Workshops, wie sie Terminologie auswählen und gemäß den Empfehlungen des Leitfadens einsetzen.
Einsatz von Tools und KI
Unternehmen, die regelmäßig Terminologiearbeit leisten, können durch den Einsatz von Tools und KI-basierten Verfahren die Effizienz und Qualität der Terminologieauswahl verbessern. Mögliche Ansätze:
- Klassifikation von Termini durch KI-Modelle: LLMs ordnen mit entsprechenden Prompts Termini automatisch Kategorien zu (z.B. Produktbezeichnungen, Prozessbegriffe).
- NLP-Verfahren zur Erkennung von Named Entities: Natural Language Processing (NLP) identifiziert automatisch Eigennamen in Texten.
- Linguistische Bibliotheken zur Wortartenbestimmung: Die Analyse der Wortarten ermöglicht eine gezieltere Identifikation und Kategorisierung von Termini. Die Firma D.O.G. hat beispielsweise die linguistische Bibliothek Spacy in die Terminologieextraktionsfunktion des Terminologieverwaltungssystems LookUp integriert und kann solche Informationen zusammen mit den Termkandidaten exportieren.
- Regelbasierte Erkennung von Mustern: Reguläre Ausdrücke erkennen bestimmte Muster in Texten, z.B. Abkürzungen oder Fachbegriffe mit spezifischen Endungen.
Der Einsatz dieser Technologien erfordert entsprechende Kenntnisse, die interne Entwicklungsabteilungen oder externe Dienstleister bereitstellen können. Die Automatisierung der Terminologieauswahl spart Zeit und erhöht die Konsistenz und Qualität der Terminologie.
Regelmäßige Überprüfung und Abstimmung
Durch die fortlaufende Terminologieauswahl aus unterschiedlichen Texten erkennen Terminologen Situationen, in denen die Kriterien nachgebessert werden sollten. Regelmäßige Treffen der an der Terminologiearbeit beteiligten Mitarbeiter dienen dazu, Terminologieentscheidungen zu überprüfen und zu diskutieren.
Fazit: Der Schlüssel zu konsistenter Terminologieauswahl
Die Auswahl der richtigen Terminologie ist ein komplexer, aber unverzichtbarer Bestandteil des Terminologiemanagements, der präzise Kommunikation und hohe Qualitätsstandards in der technischen Dokumentation und Übersetzung sicherstellt. Auch wenn KI-gestützte Tools und halbautomatische Verfahren Unterstützung bieten können, bleibt menschliches Fachwissen unverzichtbar. Ein klar definierter und einheitlicher Auswahlprozess, der durch Schulungen und technische Hilfsmittel unterstützt wird, stellt sicher, dass die Auswahl der Fachbegriffe einheitlich erfolgt. Nur durch die Zusammenarbeit von Technologie und menschlicher Expertise kann eine nachhaltige Verbesserung der Terminologieextraktion erreicht werden.