LLMs oder NMTs einsetzen

LLMs und NMTs: Welches Übersetzungstool ist das richtige für Ihre technische Dokumentation?

In der Welt der Übersetzungstechnologien gibt es seit Ende 2022 einen neuen Spieler: Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT haben das Spielfeld verändert. Doch was bedeutet das für Sie, wenn Sie technische Dokumentation übersetzen müssen? Ist ein bewährtes neuronales maschinelles Übersetzungssystem (NMÜ bzw. Neural Machine Translation, NMT) wie DeepL oder Google Translate die richtige Wahl, oder sollten Sie auf LLMs setzen? Vielleicht sogar beide kombinieren? Dieser Artikel hilft Ihnen, eine fundierte Entscheidung zu treffen – immer mit dem Bewusstsein, dass Humanübersetzungen nach wie vor der Goldstandard bleiben.

Warum überhaupt maschinelle Übersetzung?

Bevor wir die beiden Ansätze vergleichen, stellt sich die Frage: Warum nicht alles von menschlichen Übersetzern übersetzen lassen? Die Antwort liegt auf der Hand: Volumen und Kosten. Die zu übersetzenden Inhaltsmengen wachsen exponentiell, während Budgets begrenzt bleiben. Unternehmen entwickeln daher strategische Ansätze:

  • Premium-Inhalte wie Werbeanzeigen oder rechtlich bindende Dokumente werden von menschlichen Übersetzern bearbeitet.
  • Für andere Inhalte wie Support-Dokumentation, interne Kommunikation oder temporäre Inhalte kommen maschinelle Lösungen zum Einsatz.

Wenn die Entscheidung für maschinelle Übersetzung gefallen ist, müssen Sie wählen: NMT, LLM oder eine Kombination beider Technologien?

Zwei Wege zum selben Ziel: NMT vs. LLM

Stellen Sie sich vor, Sie möchten von Berlin nach München reisen. Mit dem Zug fahren Sie direkt von A nach B – das ist wie eine NMT-Übersetzung. Mit dem Auto können Sie nicht nur nach München, sondern auch Abstecher machen oder die Route ändern – das entspricht einem LLM.

Neuronale maschinelle Übersetzung (NMT): Diese Systeme wurden speziell für Übersetzungen trainiert. Sie lernen die Verbindungen zwischen Wörtern und Ausdrücken in verschiedenen Sprachen anhand paralleler Textkorpora mit Hunderttausenden bis zu mehreren Millionen von Satzpaaren. Ein NMT-System wie DeepL wurde primär zu einem Zweck entwickelt: Texte effizient von einer Sprache in eine andere zu übertragen.

Large Language Models (LLMs): Diese KI-Modelle sind Allrounder. Bei der Übersetzung funktionieren sie anders: Anstatt Wörter direkt zu übertragen, analysieren sie die Bedeutung des Ausgangstextes und generieren dann einen passenden Text in der Zielsprache. Sie könnten es sich als “Lesen, Verstehen und Neuformulieren” vorstellen, statt als “Wort-für-Wort-Ersetzung”.

Typische Schwächen beider Systeme

Bevor wir uns die Stärken ansehen, ist es wichtig zu verstehen: Weder NMTs noch LLMs sind perfekt. Sie machen unterschiedliche Arten von Fehlern:

NMT-Schwächen:

  • Kontextverständnis: NMTs konzentrieren sich oft auf einzelne Sätze, längere Zusammenhänge werden weniger berücksichtigt.
  • Kreativität: Übersetzungen bleiben oft sehr nah am Original – manchmal zu wörtlich.
  • Kulturelle Nuancen: Subtile Anspielungen oder kulturelle Eigenheiten können verloren gehen.
  • Fachterminologie: Ohne spezielles Training oder Glossare schleichen sich Fachfehler ein.

LLM-Schwächen:

  • Halluzination: LLMs können Informationen “erfinden”, die im Original nicht vorhanden sind.
  • Inkonsistenz: Der gleiche Begriff kann an verschiedenen Stellen unterschiedlich übersetzt werden.
  • Exzessive Kreativität: Manchmal werden Texte zu frei umformuliert und verlieren die ursprüngliche Präzision.
  • Vertraulichkeit: Einige LLM-Dienste speichern Eingabedaten – prüfen Sie die Datenschutzrichtlinien des Anbieters.

Die vier Hauptmerkmale von LLMs für die Übersetzung

1. Anpassungsfähigkeit: Der Formwandler

LLMs sind wie Formwandler – sie können schnell andere Gestalten annehmen. In der Praxis bedeutet das: Sie können sich leichter an spezifische Fachgebiete, Stile und Terminologien anpassen.

Beispiel: Wenn Sie eine API-Dokumentation übersetzen, können Sie einem LLM einfach Anweisungen geben wie: “Behalte alle Oberflächentexte im Original bei und übersetze nur die erklärenden Texte.” Das System versteht sofort, was zu tun ist:

Original: The setParameters() method accepts an array of configuration objects.
LLM-Übersetzung: Die Methode setParameters() akzeptiert ein Array von Konfigurationsobjekten.

2. Kontextverständnis: Der Detektiv

LLMs können längere Zusammenhänge besser verstehen, was bei mehrdeutigen Begriffen oder Satzverweisen hilfreich ist.

Beispiel:

Original: The board was found after a long search.
NMT könnte „board“ falsch als „Brett“ übersetzen.
LLM berücksichtigt den Kontext und übersetzt korrekt: Der Vorstand wurde nach langer Suche gefunden.

3. Fließender Stil: Der Sprachkünstler

LLMs erzeugen oft Texte, die natürlicher und lesefreundlicher klingen.

Beispiel:

Original: It is strongly recommended that users back up their data prior to installation.
NMT: Es wird dringend empfohlen, dass Benutzer ihre Daten vor der Installation sichern.
LLM: Wir empfehlen dringend, vor der Installation eine Datensicherung durchzuführen.

4. Lange Sätze meistern: Der Marathonläufer

Technische Dokumente enthalten oft lange, komplexe Sätze. Hier sind LLMs wie Marathonläufer – sie verlieren auch auf langen Strecken nicht den Atem (oder den Kontext) … jedoch solange sie im Kontextfenster bleiben.

Stärken von NMT-Systemen: Wo traditionelle Übersetzungstechnologie glänzt

Terminologische Konsistenz mit Glossaren

NMT-Systeme können mit Glossaren arbeiten, die sicherstellen, dass Fachbegriffe immer gleich übersetzt werden – ein entscheidender Vorteil für technische Dokumentation.

Beispiel: Ein Unternehmen kann ein Glossar definieren, in dem “device” immer als “Gerät” übersetzt wird, “interface” als “Schnittstelle” und “Save file” als “Datei sichern”.

Zuverlässige Genauigkeit

Im Gegensatz zu LLMs “erfinden” NMT-Systeme nur ganz selten Informationen. Sie übersetzen in der Regel genau das, was im Original steht – nicht mehr und nicht weniger.

Beispiel: Bei einer Sicherheitsanweisung oder einer rechtlichen Erklärung ist diese Genauigkeit entscheidend.

Die Notwendigkeit von Post-Editing

Mit Ausnahme von “Wegwerf-Übersetzungen” (schnelle interne Kommunikation, zeitlich begrenzte Inhalte) ist Post-Editing praktisch immer erforderlich – unabhängig davon, ob Sie NMT oder LLM verwenden.

Was ist Post-Editing? Die Nachbearbeitung maschinell übersetzter Texte durch menschliche Experten, die Fehler korrigieren und den Text optimieren.

Je nach System sind unterschiedliche Aspekte beim Post-Editing zu beachten:

Bei NMT-Übersetzungen:

  • Prüfung auf zu wörtliche Übersetzungen
  • Korrektur falsch übersetzter Fachbegriffe
  • Verbesserung von Satzübergängen

Bei LLM-Übersetzungen:

  • Prüfung auf Halluzinationen (hinzugefügte Information)
  • Sicherstellung terminologischer Konsistenz
  • Überprüfung, ob der Inhalt vollständig ist (keine ausgelassenen Informationen)

Wann Sie welches System einsetzen sollten

Setzen Sie auf NMT, wenn:

  • Terminologische Konsistenz höchste Priorität hat
  • Sie mit sensiblen oder vertraulichen Inhalten arbeiten
  • Absolute Genauigkeit ohne “kreative Freiheiten” erforderlich ist
  • Sie hochvolumige, wiederkehrende Übersetzungen benötigen

Setzen Sie auf LLMs, wenn:

  • Natürliche, fließende Sprache wichtiger ist als wörtliche Übersetzung
  • Sie kreative oder marketingorientierte Inhalte übersetzen
  • Der Kontext für das Verständnis entscheidend ist
  • Sie komplexe, fachübergreifende Dokumente übersetzen

Das Dream-Team: Der hybride Ansatz

Die Zukunft der technischen Übersetzung liegt wahrscheinlich in einem Hybrid-Modell, das die Stärken beider Ansätze kombiniert:

  1. NMT als Fundament: Ein spezialisiertes NMT-System mit kundenspezifischem Glossar erstellt eine grundlegende Übersetzung mit konsistenter Terminologie.
  2. LLM als Stilberater: Ein LLM überarbeitet dann den Text, um ihn natürlicher und fließender zu gestalten, behält aber die vom NMT korrekt übersetzten Fachbegriffe bei.
  3. Mensch als Qualitätssicherer: Ein menschlicher Experte führt das Post-Editing durch – mit Wissen über die typischen Fehler beider Systeme.

Dieses Hybridpotenzial wird inzwischen auch von führenden Anbietern von Übersetzungstechnologien erkannt. So bietet DeepL mittlerweile die Möglichkeit, Kontext zu den zu übersetzenden Texten hinzuzufügen – eine Funktion, die typisch für LLMs ist. Durch diese Kontextinformationen kann das NMT-System Mehrdeutigkeiten besser auflösen und kulturelle sowie fachspezifische Nuancen präziser erfassen. Die Grenzen zwischen reinen NMT-Systemen und LLM-basierten Ansätzen beginnen sich zu verwischen, was langfristig den Anwendern zugutekommen dürfte.

Hybridlösung von DeepL
Kontextklärung in DeepL: Eine Hybridlösung

Der Einfluss der Sprachkombination

Ein oft übersehener Faktor ist die Sprachkombination. Die Qualität maschineller Übersetzungen variiert erheblich je nachdem, welche Sprachen involviert sind.

Häufige vs. seltene Sprachpaare

  • Bei häufigen Sprachpaaren wie Englisch-Deutsch oder Englisch-Französisch leisten spezialisierte NMT-Systeme oft hervorragende Arbeit, da sie mit enormen Mengen an parallelen Texten trainiert wurden.
  • Bei selteneren Sprachkombinationen wie Deutsch–Thailändisch oder Deutsch-Isländisch zeigen LLMs interessanterweise oft Vorteile. Warum? LLMs wurden mit riesigen mehrsprachigen Datensätzen trainiert und können Wissen zwischen Sprachen übertragen. Sie können sprachübergreifende Muster erkennen und anwenden, selbst wenn direkte Übersetzungsbeispiele begrenzt sind.

Beispiel: Ein NMT-System, das speziell für Englisch-Japanisch trainiert wurde, könnte bei technischen Texten bessere Ergebnisse liefern als ein allgemeines LLM. Für eine Übersetzung von Deutsch ins Thailändische könnte jedoch ein LLM überlegen sein, da es aus seinem breiten Sprachverständnis schöpfen kann.

Tipps für weniger verbreitete Sprachen

  • Prüfen Sie bei exotischen Sprachkombinationen sowohl NMT als auch LLM-Lösungen
  • Bei sehr seltenen Sprachen können LLMs manchmal überlegen sein, besonders wenn es um generelles Verständnis geht
  • Für spezialisierte Fachterminologie bleiben menschliche Übersetzer oft unverzichtbar, unabhängig vom Sprachpaar

Praktische Tipps für die Implementierung

  1. Entwickeln Sie eine Content-Strategie: Entscheiden Sie, welche Inhalte menschliche Übersetzer erfordern und welche maschinell übersetzt werden können.
  2. Erstellen und pflegen Sie Glossare: Selbst wenn Sie LLMs verwenden, sind Glossare wertvoll – sie können in Prompts integriert werden.
  3. Investieren Sie in Post-Editor-Training: Schulen Sie Ihre Redakteure und Übersetzer in den Besonderheiten der maschinellen Übersetzung und den typischen Fehlermustern von NMT und LLM.
  4. Messen Sie die Qualität: Etablieren Sie Metriken, um die Qualität der Übersetzungen zu bewerten und Ihre Strategie kontinuierlich zu verbessern.

Fazit: Neue Workflows und die Zukunft der Übersetzung

Die Übersetzungslandschaft verändert sich rasant. NMT-Systeme und LLMs sind keine Konkurrenten, sondern komplementäre Werkzeuge in Ihrem Übersetzungs-Arsenal. Sie ersetzen nicht die menschliche Expertise, sondern verändern, wie diese eingesetzt wird.

Diese Entwicklung führt zu völlig neuen Workflows:

  • Übersetzer werden zu Textkuratoren, Prompt-Ingenieuren und Post-Editoren
  • Revisoren müssen unterschiedliche Fehlerarten erkennen und beheben können
  • Terminologiemanagement gewinnt noch mehr an Bedeutung

Die besten Ergebnisse erzielen Sie, wenn Sie die Stärken jedes Systems kennen und gezielt einsetzen. Die Zukunft liegt nicht in der Ersetzung menschlicher Übersetzer, sondern in einer intelligenten Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, bei der jeder das tut, was er am besten kann.

Während die Technologie voranschreitet, bleibt eines konstant: Der Mensch behält die Kontrolle über die endgültige Qualität. Post-Editing ist kein notwendiges Übel, sondern ein wesentlicher Bestandteil des modernen Übersetzungsprozesses – und die Fähigkeit, die unterschiedlichen Fehlertypen von NMT und LLM zu erkennen und zu korrigieren, wird zu einer Schlüsselkompetenz für Sprachexperten im 21. Jahrhundert.

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