Eine nutzerorientierte Terminologie bringt große Vorteile für die Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen und Nutzern. „Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche zieh’n“, wer kennt diesen Satz aus einem Lied von Mike Krüger nicht? Er illustriert, wie Kommunikation außerhalb des Unternehmens eigenen Regeln unterworfen ist. Jeder benutzt seine eigene Sprache und beherrscht nicht immer die fachspezifische Sprache, die ein Unternehmen festgelegt hat. Ein Besuch von Diskussionsforen für die Reparatur von Autos oder für den Kauf von mobilen Geräten macht deutlich, wie vielfältig und kreativ die deutsche Sprache sein kann. Von „Drehknopf“ für „Potentiometer“ bis „Dingens“ für „Durchflussregler“ scheint die Fantasie der Nutzer keine Grenzen zu kennen. Kann es sich ein Unternehmen, dessen Vertrieb oder technischer Support leisten, diese Sprache zu ignorieren?
Nutzergruppen verwenden unterschiedliche Wörter
Um Alternativbenennungen zu sammeln, könnte man theoretisch jedes einzelne Fachwort in einem Synonymwörterbuch nachschlagen. Das gibt aber keinen Hinweis über ihre tatsächliche Verwendung durch einzelne Nutzergruppen. Die Herausforderung liegt darin, die Sprache des Marktes zu identifizieren und zu erfassen, um sie mit den eigenen Benennungen für Produkte und Leistungen zu verbinden. Und dies gleichzeitig in mehreren Sprachen. Wie lässt sich das mit einem vertretbaren Aufwand durchführen? Welche Quellen gibt es dazu? Was ist mit den Fremdsprachen? Reicht dafür eine einfache Übersetzung?
Zielgruppen für eine Terminologiedatenbank ermitteln
Die Lösungen sehen sicherlich von Fall zu Fall unterschiedlich aus. Im Grunde besteht aber die Vorgehensweise aus folgenden Schritten: Zuallererst grenzt man die Zielgruppen ein, die man erreichen möchte. Das ist die Basis für relevante Informationsquellen. Man extrahiert dann aus diesen Quellen Synonyme zu firmeneigenen Benennungen. Als letzten Schritt reichert man diese Alternativbenennungen mit semantischen und organisatorischen Informationen an. Dadurch können bestimmte Prozesse oder bestimmte Applikationen sie gezielt benutzen.
Passende Terminologiequellen auswerten
Firmeninterne Quellen wie Berichte vom Technischen Support, Korrespondenz mit Kunden, Anfragen oder Ausschreibungsunterlagen liefern bereits einiges an Material für die Extraktionsarbeit. Ferner kommen dazu diverse Publikationen, Kataloge, Websites, Fachartikel oder Fachbücher von Verbänden, Hochschulen und anerkannten Experten. Amtliche Quellen wie Normen, Richtlinien, Gesetze eignen sich ebenfalls für diesen Zweck. Auch Wettbewerber setzen u. a. Alternativbenennungen ein, die bei der eigenen Kommunikation mit Externen vorkommen können. Schließlich kommt ein Teil der unzähligen Blogs, Facebook-Beiträge oder anderen relevanten Foren und Diskussionsgruppen infrage.
Begriffe und Synonyme suchen
Es wäre eine Sisyphusarbeit, alle diese Quellen ausführlich zu untersuchen und auszuwerten. Sie sind auch nicht gleich relevant. Für eine systematische Suche nach Synonymen eignet sich das Bootstrapping-Verfahren. Es nutzt die Tatsache, dass Wörter nie allein erscheinen, sondern immer in einem Kontext eingebettet sind. Das Prinzip besteht darin, eine kleine Menge an Stichwörtern festzulegen, die sozusagen als Köder oder Initialzündung fungieren, um Texte und danach Kontexte zu identifizieren, die sich mit einem bestimmten Thema befassen. Diese Köder (englische Fachterminologie: „seeds“) gibt man in Kombination von 2-3 Wörtern als Suchbegriffe in einer Suchmaschine bzw. Suchapplikation für Dokumente wie dtSearch (www.dtsearch.com) ein. Beispiel: Eine Suche nach „Transformator – Wicklung – Magnetfeld“, bringt Kontexte hervor, die auch Synonyme zu „Transformator“ wie „Trafo“ und „Stromwandler“ enthalten. Das Bootstrapping-Verfahren erfolgt meistens iterativ, d. h. die in einem ersten Lauf extrahierten Synonyme dienen dazu, weitere Synonyme oder neue Begriffe zu identifizieren.
Wer auf regelmäßiger Basis die Nutzersprache extrahieren möchte, kann das Verfahren teilweise automatisieren. Dies ermöglichen einige wenige Tools wie das kostenlose BootCaT und das professionelle kostenpflichtige Sketchengine. Sie liefern bereinigte relevante Korpora und Listen von Termkandidaten mit Kontext und Häufigkeitsangaben, die evaluiert werden müssen.
Äquivalente in Fremdsprachen suchen
Hat man als Erstes eine Liste von Alternativbenennungen in Deutsch gefunden, so geht es dann um das Festlegen von Synonymen in weiteren Sprachen. Man kann nicht davon ausgehen, dass es ausreichen würde, diese deutschen Wörter zu übersetzen. Erstens sind Fremdsprachen kein Spiegelbild der deutschen Sprache (ein deutsches Wort kann mehrere Entsprechungen in der Fremdsprache haben und umgekehrt). Und zweitens gibt eine Übersetzung keine Auskunft darüber, wie intensiv Benutzer sie im Ausland tatsächlich verwenden. Man müsste also theoretisch in allen Sprachen genauso vorgehen wie in der deutschen Sprache, was aus Kostengründen nicht immer umsetzbar ist. Übersetzungsdienstleister oder Auslandsniederlassungen können trotzdem helfen, für einige Schlüsselbegriffe die geläufigen Synonyme in ihren Sprachen zu ermitteln.
Begriffe bilden
Die identifizierten Synonyme werden in den zentralen Terminologiebestand mit den firmeneigenen Benennungen in gemeinsamen Begriffen zusammengefasst. Um sie richtig einzusetzen, sind entsprechende Verwendungsattribute notwendig, die die Situation klar abgrenzen, in denen sie anstelle der offiziellen Firmenterminologie zum Einsatz kommen. Das ist u. a. für Qualitätssicherungsprogramme für Dokumentationen oder Übersetzungen wichtig. Es können Attribute wie die Nutzergruppe (Unternehmen oder Kunde, Behörde, Lieferant) sein.
Den Terminologieaufwand richtig einschätzen
Für Terminologieeinträge, die verschiedene Benutzergruppen bei ihrer Arbeit sinnvoll unterstützen, muss der Arbeitsaufwand realistisch eingeschätzt werden. Die folgende Illustration gibt dazu eine realistische Schätzung.
So beträgt der Arbeitsaufwand für einen Eintrag in der Ausgangssprache zwischen 20 und 51 Minuten, während er für jede weitere Wörterbuchsprache zwischen 5 und 15 Minuten beträgt.
Vorteile einer professionellen Terminologie
Die neu gewonnenen Termini kommen überall in der Kommunikation mit Nutzern zum Einsatz:
- In der Technischen Dokumentation können sie ergänzend zur eigenen Benennung für die Suche nach Informationen im Stichwortverzeichnis erscheinen.
- Sie können helfen, die Webpräsenz des Unternehmens mehrsprachig zu optimieren. Die Aufnahme von alternativen Benennungen in Metadaten, in semantischen Feldern trägt zu besseren Treffquoten bei der Internetsuche bei.
- Die Arbeit des Technischen Supports profitiert vom Einsatz von nutzerorientierten Benennungen, da Kunden sich bei Fragen in der Regel nicht immer an der Firmenterminologie orientieren, sondern ihre eigene Sprache einsetzen.
- Als Abfallprodukt der Extraktion können Zusammenhänge zwischen Begriffen gewonnen werden. Damit kann man Produkte bzw. Dienstleistungen bündeln. Das lässt sich mithilfe von Ontologien bewerkstelligen. Beispiel: Wenn aus dem Bootstrapping-Verfahren ein Zusammenhang zwischen „Ventil“, „Steuerung“ und „Software“ hervorgeht, erhält der Nutzer entsprechende Paketangebote bei seiner Suche nach einem dieser Begriffe im Internet.
Die Terminologie von morgen kann sich nicht leisten, die individuellen Sprachen der unterschiedlichen Nutzergruppen zu ignorieren. Unternehmen brauchen ein flexibles terminologisches Instrument, mit dem sie jederzeit und situationsgerecht klar kommunizieren. Das können am besten begriffsorientierte Terminologiedatenbanken, die über Attribute den Einsatz der jeweiligen Benennungen steuern. Damit steht der Informationsgewinnung und dem Informationsaustausch nichts mehr im Wege. Erfahrene Übersetzungsdienstleister können ihren Beitrag dazu leisten.