Redakteure und Übersetzer – Verbündete im Kampf gegen Missverständnisse
Übersetzungsgerechtes Schreiben: Warum? Man könnte von einer Schicksalsgemeinschaft sprechen. Redakteure und Übersetzer sind aufeinander angewiesen, um die Unternehmensdokumentation in guter Qualität für den globalen Markt zu produzieren. Die heutigen industriellen Prozesse bei Dokumentationserstellung basieren auf Modularität, Standardisierung und Wiederverwendung von Inhalten mithilfe von Redaktionssystemen oder Translation-Memory-Systemen. Ohne diese Verfahren und Technologien wäre die heutige Menge an Informationen für die unterschiedlichsten Medien und Plattformen nicht vorstellbar.
Übersetzungsgerechtes Schreiben
Seit Jahren wird Redakteuren eingetrichtert, dass sie übersetzungsgerecht schreiben sollen. Dazu gibt es sogar eine DIN-Norm, die DIN 8579:2022-07. Übersetzungsgerechtes Schreiben bedeutet, Texte so zu formulieren, dass sie sich mühelos in andere Sprachen übertragen lassen. Autoren verwenden dabei kurze Sätze mit höchstens einem Nebensatz und wenden eine einheitliche Formulierung an. Sie verzichten auf das Passiv und wählen statt „Meldung wird ausgelöst“ die aktive Form „Fehler löst Meldung aus„. Füllwörter haben keinen Platz in diesem Konzept. Jeder Begriff wird genau benannt, „Messgerät“ statt einfach „Gerät„. Verweise auf Fürwörter ohne klare Bezüge meiden sie und unterbrechen Sätze nicht mit Absatzmarken oder Aufzählungspunkten. Sie denken an die globale Verständlichkeit und vermeiden Maße, Beispiele oder Symbole, die nur regional bekannt sind. So entstehen Inhalte, die weltweit einsatzfähig sind und Raum für sprachliche Variationen lassen.
Aber was ist mit übersetzungsgerechtem Übersetzen?
Interessanterweise hat sich bisher kaum jemand mit der Frage befasst, ob Übersetzungen auch übersetzungsgerecht formuliert sind. Die Frage ist gar nicht abwegig, denn für Übersetzungen gelten genau dieselben Zwänge wie für die Ausgangsdokumentation. Eine übersetzungsgerechte Ausgangsdokumentation führt nicht automatisch zu einer übersetzungsgerechten Übersetzung. Man hat hier mit Produktionsprozessen zu tun, die ganz stark auf Wiederverwendung setzen. Und hier ist es wichtig, sicherzustellen, dass die Übersetzungen problemlos in verschiedenen Dokumentationsprojekten wiederverwendet werden können.
Dass gleiche Wörter in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich übersetzt werden müssen, zeigt diese Tabelle:
Deutsch | Englisch |
---|---|
Servicetür öffnen. | Open the service door. |
Tür öffnen ist möglich (Ja / Nein) | Door can be unlocked (Yes / No) |
Verzögerung Bremse öffnen | Delay to release brake |
Kontermutter öffnen und nach oben drehen | Undo counter nut and turn upwards |
Deckel der Fettschmierung öffnen. | Remove the lid of the grease lubrification system |
Die Herausforderungen der Wiederverwendung in Übersetzungsprozessen
Die wiederverwendbaren Einheiten sind in der Regel kleiner als bei Redaktionssystemen. Es sind Segmente (meistens Sätze), die ganz oder teilweise (sog. Fuzzy-Matches) aus einem Übersetzungsspeicher geholt und in die Übersetzung eingefügt werden.
Module oder Bausteine aus Redaktionssystemen liefern immerhin noch einen kleinen Kontext, Segmente aus Translation-Memory-Systemen selten. Bei ihrer Wiederverwendung ist man mehr denn je auf Eindeutigkeit angewiesen. Wenn der Übersetzer sich nicht an ähnlichen Regeln wie für Redakteuren hält, kann seine Übersetzung in einem anderen Zusammenhang missverstanden werden oder Sinnfehler enthalten.
Unkontrollierte Übernahmen – ein Risiko für die Qualität
Sehr oft werden vorhandene Übersetzungen unkontrolliert übernommen, etwa weil sie für die Bearbeitung gesperrt sind oder gar nicht an den Übersetzer weitergegeben werden. Dies liegt zum Beispiel daran, dass einige Auftraggeber die Kosten für eine Überprüfung der Matches im Kontext sparen möchten. Dass dies bei kontextrelevanten Inhalten bzw. bei Terminologieaktualisierungen zu Fehlern führen kann, liegt auf der Hand.
Übersetzungsgerecht übersetzen: worauf es ankommt
Wer übersetzungsgerecht übersetzen möchte, muss auf folgende Punkte achten:
Kontextabhängige Pronomen
Probleme entstehen, wenn der Übersetzer kontextabhängige Pronomen (ihn, sein, diesen…) verwendet, ohne dass das Bezugswort im Satz steht. Beispiel:
- Deutsch: „Auf Verschleiß prüfen, ggf. austauschen.“
- Französisch: „Contrôler l’usure, le remplacer si nécessaire.“
Es gibt u. a. in romanischen Sprachen mehrere Möglichkeiten, den Pronomen zu übersetzen, je nachdem welchen Genus das Bezugswort hat. Das männliche „le“ ist in diesem Beispiel einfach überflüssig.
Ungenaue Oberbegriffe
Was für Redakteure gilt, gilt gleichermaßen für Übersetzer. Wenn ein Übersetzer einen breiter gefassten Begriff als in der Ausgangssprache einsetzt, riskiert er, dass seine Übersetzung in einem anderen Kontext falsch verwendet wird. So kann er nicht davon ausgehen, dass allgemeine Begriffe wie „unit“, „container“ usw. in jedem Zusammenhang passen. In manchen Fällen verlangt die Situation eine mindestens so präzise Aussage wie in der Ausgangssprache, um das Produkt richtig zu bedienen. Beispiel:
- Deutsch 1: „Kasten austauschen.“ (z. B. Luftfilterkasten)
- Deutsch 2: „Behälter ersetzen.“ (z. B. Tonerbehälter)
- Englisch: „Replace the box.“ (englische Übersetzung mehrdeutig)
Präzisere Übersetzungen
Umgekehrt wählt ein Übersetzer manchmal für einen Begriff der Ausgangssprache eine enger gefasste Übersetzung, weil in seiner Sprache schärfer differenziert werden muss. Nicht immer lassen sich solche Situationen vermeiden, weil die Begriffssysteme der betroffenen Sprachen nie vollständig übereinstimmen. Das kommt u.a. bei Begriffen, die implizit Handlungen enthalten. Beispiel: „Spannvorrichtung“ = „clamping device“ oder „tensioning device„, je nach Verfahren.
Uneinheitliche Formulierungen
Zwar erkennt ein Übersetzer oft, dass eine Aussage des Ausgangstexts trotz zwei oder mehr Varianten dieselbe ist. Er setzt dafür dieselbe Übersetzung ein. Aber der umgekehrte Fall kann auch eintreten, vor allem wenn unterschiedliche Dienstleister sich eine Sprache teilen und die Translation-Memorys nicht gemeinsam benutzen. Dann sieht man wie im folgenden Beispiel immer wieder unterschiedliche Übersetzungen für die gleiche Aussage:
- Version 1: „Check the acoustic signal output regularly“.
- Version 2: „Periodically check the acoustic signal output“.
Diese Formulierungsvarianten erscheinen u. a. bei Anweisungen, die je nach Sprache teils im Imperativ, teils im Infinitiv vorkommen (Italienisch: „apra la valvola“ oder „aprire la valvola“).
Vermeidung unnötiger Synonyme
Angesichts der heutigen Übersetzungsprozesse ist es umso wichtiger, unnötige Synonyme zu vermeiden. Das ist eine der häufigsten Ursachen für Übersetzungsvarianten in Translation-Memorys. Das gilt insbesondere für wichtige oft verwendete Termini oder Verben: z. B. „kontrollieren“ und „(über)prüfen„, „check“ und „verify„, „speichern“ und „sichern“ usw..
Uneinheitliche Schreibweise
Wenn der Übersetzer Fachwörter inkonsistent schreibt, führt es genauso wie mit den Ausgangstexten zu Probleme bei der Erkennung von Terminologie durch Qualitätssicherungsprogramme. Typisches Beispiel von unnötigen Übersetzungsvarianten: „setup mode/ set-up mode „.
Die Folgen von nicht übersetzungsgerechten Übersetzungen
Während Firmen bereits einiges für die Produktion standardisierter und wiederverwendbarer Ausgangstexte unternommen haben, scheint das Thema der Wiederverwendbarkeit von Übersetzungen noch nicht auf dem Radarbildschirm zu stehen. Man darf die Auswirkung von nicht übersetzungsgerechten Übersetzungen nicht unterschätzen. Solche Übersetzungen verursachen Qualitätsverluste und zusätzliche Kosten. Sie kommen insbesondere vor, wenn Unternehmen mit vielen Dienstleister zusammenarbeiten und weder Qualitätsstandards definieren noch auf qualitätsgeprüfte und gemeinsam genutzte Translation-Memorys achten. Somit verpuffen die Einsparungen, die angeblich durch den ständigen Vergleich von Projektangeboten erzielt werden. Die Reparatur von Inkonsistenzen und Fehlern oder die Bearbeitung von Reklamationen sind die Folgen.
Der Weg zu qualitativ hochwertigen Übersetzungen
Übersetzer und Autoren sind voneinander abhängig und müssen ihre gegenseitigen Bedürfnisse berücksichtigen. Wer über kein internes Übersetzungsmanagement mit all dem, was es bedeutet (Ressourcen und Knowhow, Technologien, Qualitätssicherungsprozesse), verfügt, fährt auf jeden Fall besser und sicherer, wenn er einen oder wenige qualitätsbewusste Übersetzungsdienstleister einsetzt, die übersetzungsgerecht übersetzen und ihre Translation-Memorys und Terminologie mithilfe geeigneter Technologien wie ErrorSpy pflegen.