Übersetzungsmerkmale: Wodurch fällt eine Übersetzung auf?

Gibt es Übersetzungsmerkmale, die verraten, dass ein Text übersetzt wurde? Ob auf Websites, in Werbetexten, Artikeln, Büchern, Bedienungsanleitungen oder Pressemitteilungen – übersetzte Texte begegnen uns täglich. Besonders bei kreativen und marketingorientierten Texten ist es entscheidend, dass die Übersetzung nicht nur inhaltlich korrekt ist, sondern auch wie ein Originaltext klingt. Doch oft ist sofort erkennbar, dass es sich um eine Übersetzung handelt.

Woran liegt das? Warum klingen manche Übersetzungen so künstlich und holprig, während andere kaum von einem Original zu unterscheiden sind? In diesem Artikel wollen wir uns auf die Suche nach den Merkmalen solcher Übersetzungen machen. Wir werden die Ursachen für unnatürliche Formulierungen ergründen und Strategien vorstellen, wie Übersetzer und Autoren “natürlichere” und flüssigere Texte erstellen können, die sich nahtlos in die Zielsprache einfügen.

Sprachliche Fingerabdrücke: Die Merkmale übersetzter Texte im Detail

Obwohl Übersetzungen oft präzise und inhaltlich korrekt sind, tragen sie dennoch häufig sprachliche Fingerabdrücke, die sie als solche entlarven. Diese Merkmale können sich in der Wortwahl, dem Satzbau, den kulturellen Bezügen oder der Verankerung in einer fremden Realität zeigen.

Wortwörtliche Übersetzungen

Sprachen verwenden Wörter oder Redewendungen, die in anderen Sprachen seltener vorkommen, nicht existieren oder eine andere Bedeutung haben. Ein Beispiel hierfür ist der englische Ausdruck “an avenue of” (growth, progress, communication usw. ), der im Deutschen keine direkte Entsprechung hat. Auch Adjektive wie “premier” in “the premier global provider of…”, “best-in-class” oder “unmatched” in “unmatched performance”, die in amerikanischen Werbetexten gern verwendet werden, klingen in manchen anderen Sprachen oft seltsam oder übertrieben. Wenn die Übersetzung sie zu getreu wiedergibt, merkt der Leser sofort, dass der Text nicht in seiner Sprache geschrieben wurde.

Grammatische Kategorien und Flexibilität

Ein weiteres Phänomen bei wörtlichen Übersetzungen ist der Versuch, grammatikalische Kategorien eins zu eins zu übertragen. So muss ein Nomen im Ausgangstext nicht zwangsläufig mit einem Nomen in der Zielsprache übersetzt werden. Oftmals sind verbale Konstruktionen oder Umschreibungen natürlicher und flüssiger.

Ein Beispiel hierfür ist die Übersetzung des deutschen Satzes “Die Durchführung des Projekts erfordert eine sorgfältige Planung” ins Englische als “The implementation of the project requires careful planning.” Eine flüssigere Übersetzung wäre “The project requires careful planning to be implemented successfully.

Begriffe mit unterschiedlichem Realitätsbezug

Sprachen sind keine exakten Spiegelbilder voneinander. Sie erfassen Ideen und Realitäten auf unterschiedliche Weise, manchmal präziser, manchmal allgemeiner. Die realen Welten oder die Vorstellungen von der Welt können sich von Land zu Land und von Sprache zu Sprache erheblich unterscheiden. Zu wortnahe Übersetzungen können daher nicht nur unnatürlich wirken, sondern auch zu inhaltlichen Fehlern führen.

Ein Beispiel hierfür ist die deutsche Unterscheidung zwischen Universitäten und Hochschulen, die nicht alle Sprachen oder Länder kennen. Einige Sprachen verwenden beispielsweise die allgemeinere Benennung „Universität“ für alle Arten von Hochschulen. Ähnliche Situationen sind für eine Vielzahl von Themen bekannt: Bildung, Infrastruktur, politische oder rechtliche Systeme, Ernährung usw.

Ein weiteres Beispiel sind die zwei deutschen Verben für das „Hochladen“ und „Herunterladen“ einer Datei. Im Französischen wird oft nur „télécharger“ („fernladen“) verwendet. Eine zu genaue wörtliche Übersetzung ins Französische („télécharger en aval“ oder „télécharger en amont“) würde zwanghaft klingen, es sei denn, der aktuelle Kontext erfordert dies.

Konnotation und Assoziationen

Die Konnotation von Wörtern, d. h. ihre emotionalen Assoziationen und Bewertungen, hängt stark von der lokalen Kultur und Geschichte ab. Ein Beispiel hierfür ist das deutsche Wort „streng“, das oft eine negative Konnotation hat und mit Härte und Unnachgiebigkeit in Verbindung gebracht wird, insbesondere im Zusammenhang mit Bildung oder Regeln. In anderen Kulturen, wie z. B. in einigen asiatischen Ländern, kann „streng“ jedoch auch positive Konnotationen haben und für Disziplin, Respekt vor Autorität und hohe Leistungsstandards stehen. Ein strenger Lehrer oder eine strenge Erziehung werden dann als Zeichen für Qualität und Erfolg angesehen.

Sprachregister und Sprachgebrauch

Sprachen haben verschiedene Register oder Sprachstile, die für bestimmte Situationen oder soziale Gruppen angemessen sind. Ein Beispiel hierfür ist die Art und Weise, wie Menschen angesprochen werden, z. B. wenn Anweisungen oder Ratschläge gegeben werden. Nicht immer gelingt es Übersetzern, das Register erfolgreich an die beabsichtigte Leserschaft anzupassen.

Eine direkte Übersetzung der Anweisung “Vor dem Berühren die Temperatur prüfen!” ins Japanische könnte als unhöflich oder unangemessen empfunden werden, da sie die Höflichkeitsformen der japanischen Sprache nicht berücksichtigt. Eine höflichere Formulierung wie “触れる前に温度を確認してください!” (“Bitte überprüfen Sie die Temperatur, bevor Sie es berühren!”) wäre in diesem Kontext angemessener.

Satzbau nach dem Original: Wenn die Satzstruktur fremd wirkt

Die Syntax ist ein weiteres Merkmal, das übersetzte Texte oft verrät. Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung von Nebensätzen am Satzanfang. Im Deutschen ist dies durchaus üblich, während die englische Sprache Hauptsätze tendenziell bevorzugt. Eine Übersetzung, die die Satzstruktur des deutschen Originals zu genau oder zu oft nachahmt, kann daher im Englischen unnatürlich oder schwerfällig wirken.

Ein anderes Beispiel ist die Verwendung von Passivkonstruktionen. Im Deutschen werden Passivsätze häufiger verwendet als im Englischen. Eine Übersetzung, die den Passivgebrauch des Originals beibehält, kann im Englischen steif und umständlich klingen.

Umgang mit kulturellen Unterschieden

Sprache ist untrennbar mit Kultur verbunden. Wörter und Ausdrücke sind nicht nur Träger von Informationen, sondern rufen auch Assoziationen hervor, die tief in der jeweiligen Kultur verwurzelt sind. Bei Übersetzungen können diese kulturellen Unterschiede zu Stolpersteinen werden, wenn sie nicht angemessen berücksichtigt werden.

Kulturell beeinflusste Begriffe

Manche kulturell geprägte Begriffe sind im Ausland nahezu unbekannt oder schwer zu erklären. So sind die deutschen Begriffe “Ossi” und “Wessi” eng mit der deutschen Teilungsgeschichte verbunden und für Menschen, die diese Erfahrung nicht teilen, kaum nachvollziehbar. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff “Betriebsrat”, der eine spezifische Institution der deutschen Arbeitswelt bezeichnet und in anderen Ländern keine direkte Entsprechung hat.

Referenzen und Anspielungen

Auch Verweise auf bestimmte Ereignisse oder Personen können in der Übersetzung misslingen, wenn sie in der Zielkultur unbekannt sind. So kann zum Beispiel eine Anspielung auf eine deutsche Fernsehserie wie “Tatort” oder eine deutsche Musikerin bei einem internationalen Publikum ins Leere laufen.

Redewendungen

Redewendungen sind ebenfalls ein Ausdruck kultureller Unterschiede. Deutsche Ausdrücke wie “Die Kirche im Dorf lassen” oder “Jemandem reinen Wein einschenken” sind sind in der deutschen Sprache und Kultur verankert. Eine wörtliche Übersetzung dieser Redewendungen würde in anderen Sprachen keinen Sinn ergeben. Es ist auch nicht immer möglich, eine Entsprechung zu finden.

Weitere kulturelle Stolpersteine

Neben den genannten Beispielen gibt es noch viele weitere kulturelle Aspekte, die bei Übersetzungen berücksichtigt werden müssen:

  • Humor: Besonders schwierig zu übersetzen sind humorvolle oder ironische Äußerungen, da sie oft auf kulturellen Anspielungen oder sprachlichen Feinheiten beruhen. Ein Witz, der in der Ausgangssprache funktioniert, kann in der Übersetzung seine Pointe verlieren oder sogar als beleidigend empfunden werden. So wird nicht jede Kultur die Ironie in der sarkastischen Bemerkung „Oh, das hast du toll gemacht!“ verstehen.
  • Tabus und Sensibilitäten: Bestimmte Themen (Religion, Holocaust, königliche Familie,… ) oder Ausdrücke können in einer Kultur als tabu oder unangemessen gelten, während sie in einer anderen Kultur akzeptabel sind.

Strategien für bessere Übersetzungen

Kreativität dank Transkreation

Transkreation geht über eine herkömmliche Übersetzung hinaus, indem sie den Text nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell an die Zielgruppe anpasst. In Marketing- und Werbetexten kann sie dazu beitragen, die gleiche emotionale und psychologische Wirkung zu erzielen wie das Original. So werden beispielsweise unbekannte kulturelle Elemente durch bekannte ersetzt oder Werbeslogans und Produktnamen an die Zielkultur angepasst.

Überbrückung kultureller Unterschiede

Neben Transkreation können Übersetzerinnen und Übersetzer weitere Strategien anwenden, um kulturelle Missverständnisse zu vermeiden:

  1. Erklärungen und Zusatzinformationen: Unbekannte oder kulturspezifische Begriffe können durch einfache Erklärungen oder Zusatzinformationen verständlicher gemacht werden, beispielsweise als Fußnoten, die den Lesern den Hintergrund erläutern. Dadurch wird der Text für die Zielkultur klarer.
  2. Vergleiche und Analogien: Unbekannte Elemente können mit vertrauten Objekten oder Situationen aus der Zielkultur verglichen werden. Dies hilft den Lesern, die neuen Begriffe besser zu verstehen.
  3. Auslassung: Wenn ein kultureller Bezug für das Verständnis des Textes nicht wichtig ist, kann er ausgelassen werden. So bleibt der Text klar und verständlich.

Warum Übersetzungen auffallen: Eine Analyse der Ursachen

Um Übersetzungsprobleme effektiv beheben zu können, ist es wichtig, die verschiedenen Gründe zu verstehen, warum ein Text als Übersetzung auffällt. Diese können sowohl in der Auswahl der Übersetzer, der Beschaffenheit des Ausgangstextes als auch in den verwendeten Technologien liegen.

Die Beschaffenheit des Ausgangstextes

Die Qualität und der Stil des Ausgangstextes beeinflussen das Übersetzungsergebnis. Autorinnen oder Autoren, die nicht auf die Übersetzbarkeit ihrer Texte achten, verwenden möglicherweise Formulierungen, Redewendungen oder kulturelle Bezüge, die in anderen Sprachen nur schwer zu vermitteln sind. Daher ist es wichtig, Autoren und Autorinnen darin zu schulen, für den internationalen Markt zu schreiben.

Eignung des Übersetzers

Nicht jeder Übersetzer ist für jede Art von Text gleichermaßen geeignet. Manche Übersetzerinnen oder Übersetzer sind auf technische oder juristische Texte spezialisiert, während andere ein besonderes Talent für kreative oder werbewirksame Inhalte haben. Ein Übersetzer, der hauptsächlich technische Handbücher übersetzt, könnte Schwierigkeiten haben, einen Marketingtext so zu übersetzen, dass er in der Zielsprache natürlich und überzeugend klingt. Aus diesem Grund ist es ratsam, für solche Textarten bewährte Marketingübersetzer einzusetzen.

Maschinelle Übersetzung und Post-Editing

Ein weiterer Faktor, der zu erkennbaren Übersetzungen führen kann, ist die Verwendung maschineller Übersetzungen (MÜ). MÜ-Systeme können zwar große Textmengen schnell übersetzen, haben aber manchmal Schwierigkeiten mit komplexen Satzstrukturen, idiomatischen Ausdrücken und kulturellen Bezügen. Selbst wenn die maschinell erstellten Übersetzungen anschließend von einem menschlichen Übersetzer oder Revisor überarbeitet werden, können Spuren der maschinellen Übersetzung zurückbleiben, die den Text als Übersetzung erkennbar machen.

Anweisungen des Kunden

Die Klarheit und Detailliertheit der Anweisungen des Auftraggebers können sich ebenfalls auf die Übersetzung auswirken. Wenn die Anweisungen unklar oder unzureichend sind, kann der Übersetzer oder die Übersetzerin unsicher sein und sich nicht trauen, vom Ausgangstext abzuweichen, um eine natürlichere Übersetzung zu erstellen. Dies kann dazu führen, dass der Übersetzer sich eng an den Wortlaut und die Struktur des Originals hält, wodurch die Übersetzung eher als solche erkennbar wird.

Weitere Ursachen

Neben den genannten Ursachen gibt es noch weitere Faktoren, die dazu beitragen können, dass ein Text als Übersetzung erkannt wird:

  • Zeitdruck: Wenn Übersetzer unter Zeitdruck arbeiten, haben sie möglicherweise nicht genug Zeit, um alle Nuancen des Ausgangstextes zu erfassen und eine optimale Übersetzung zu erstellen.
  • Unzureichende Recherche: Wenn sich Übersetzer nicht ausreichend mit dem Thema des Textes vertraut machen oder die kulturellen Besonderheiten der Zielgruppe nicht kennen, können ihre Übersetzungen ungenau oder unangemessen erscheinen.
  • Mangelnde Erfahrung: Unerfahrene Übersetzer verfügen möglicherweise nicht über die erforderliche sprachliche und kulturelle Sensibilität, um stilistisch hochwertige Übersetzungen anzufertigen.
  • Budget: Es kostet deutlich mehr Zeit, Texte so zu formulieren, dass sie sich wie eine Originalversion lesen lassen. Die Übersetzungspreise müssen dies berücksichtigen, um eine angemessene Vergütung für die aufwendige Arbeit zu gewährleisten.

KI und LLMs als Helfer bei der Erkennung von wörtlichen Übersetzungen

Die Hinzuziehung erfahrener Marketingübersetzer oder -lektoren, die mit den sprachlichen und kulturellen Nuancen beider Sprachen vertraut sind, ist nach wie vor unerlässlich. Allerdings können KI und insbesondere große Sprachmodelle (LLMs) im Übersetzungsprozess wertvolle Dienste leisten, indem sie potenziell wörtliche oder zu nahe am Original liegende Übersetzungen identifizieren.

NMÜ vs. LLMs: Unterschiede und Stärken

Neuronale maschinelle Übersetzung (NMÜ / NMT) und LLMs teilen zwar viele technische Grundlagen, unterscheiden sich jedoch in ihren Trainingsmethoden und Anwendungsbereichen. Während NMÜ-Systeme mit großen Mengen von übersetzten Texten trainiert werden und sich auf die direkte Übertragung von einer Sprache in eine andere spezialisieren, sind LLMs auf die Generierung von Texten in einer bestimmten Sprache trainiert und haben ein breiteres Verständnis für sprachliche Nuancen und Stile.

LLMs als Übersetzungsdetektoren

Dank ihres umfassenden Sprachverständnisses können LLMs mit gezielten Anweisungen (Prompts) darauf trainiert werden, typische Merkmale von Übersetzungen zu erkennen. Diese Prompts können sie beispielsweise auffordern, ungewöhnliche Wortkombinationen, unnatürliche Satzstrukturen oder kulturell unpassende Formulierungen aufzudecken. Mit diesen Informationen können Revisoren diese gezielt überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten.

LLMs im QA-Prozess

Für Übersetzer und Unternehmen, die regelmäßig Marketingtexte übersetzen, ist der Einsatz von LLMs im Rahmen des Qualitätssicherungsprozesses (QA) eine wertvolle Ergänzung. Durch den Einsatz von LLMs können potenzielle Übersetzungsprobleme frühzeitig erkannt und behoben werden, bevor der Text veröffentlicht wird.

Fazit: Die Kunst der Übersetzung – Mehr als nur Worte

Eine gute Übersetzung ist eine Kunst, die weit über die bloße Übertragung von Wörtern hinausgeht. Sie erfordert ein tiefes Verständnis beider Sprachen und Kulturen sowie der spezifischen Anforderungen der Textsorte. Eine gelungene Übersetzung liest sich wie ein Original und lässt den Leser ihre Herkunft vergessen.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Autoren, Auftraggeber und Übersetzer zusammenarbeiten: Autoren sollten auf die Übersetzbarkeit ihrer Texte achten, Übersetzer sollten kulturelle Unterschiede berücksichtigen und Auftraggeber sollten klare Anweisungen geben und angemessene Ressourcen zur Verfügung stellen.

KI und insbesondere Large Language Models (LLMs) können dabei helfen, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und stilistische Schwächen aufzudecken. Ihre Integration in den Übersetzungsprozess kann die Qualität verbessern, den Arbeitsaufwand reduzieren und zu natürlicheren und überzeugenderen Übersetzungen führen.

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